Dem Pelikan begegnen
Ros Gray, Goldsmiths, University of London.
Meine erste Begegnung mit Tina Ribarits’ Electric Entity [Pelican] war überraschend, betörend und beunruhigend zugleich. In dieser ersten Version der Arbeit stand der Pelikan in absoluter Dunkelheit – eine einsame Gestalt, ausgeschnitten aus jeglicher Landschaft, die ihm einen Kontext hätte geben können. Dennoch schien der Vogel zu leben, war buchstäblich animiert und wandte seinen Kopf fast unmerklich von einer Seite zur anderen. Sein Körper leuchtete in gedämpftem Licht, und von Zeit zu Zeit schien sein schwarzes Auge mich direkt anzublicken. Electric Entity [Pelican] präsentiert sich selbst als Illusion, das Bild eines Vogels gefangen in einem digitalen Loop. Gleichzeitig stellt der direkte Bezug auf seinen Namen eine Verbindung zur Indexikalität der Fotografie her, und die Klammern erinnern an die Systematik in der Naturgeschichte und damit an die Lücke zwischen Signifikant und Signifikat. Langsam, während meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten, wurde die Projektion in ihrem Mechanismus deutlich: Sorgfältig ausgeführte Glitches unterbrachen gelegentlich das Bild, und dennoch ließen der Detailreichtum der Federn, das Flimmern der Sonne und die Schatten auf dem Körper einen echten Vogel anstatt eines Avatars erkennen. Wenn der Kopf des Pelikans sich wendet, zieht die außergewöhnliche Physiognomie die Aufmerksamkeit der Betrachter:innen auf sich – wie der Kopf mit dem Hals verbunden ist, der seltsame Schnabel, der Kehlsack und die beinahe absurd anmutenden Schwimmfüße.
Bei der besagten ersten Installation von Electric Entity [Pelican] war der Vogel fast so groß wie ein Mensch, ein vergrößerter Maßstab, der in eine prähistorische Zeit gehörte und daran erinnerte, dass alle Vögel Nachkommen von Dinosauriern sind. Die neue Version der Arbeit präsentiert den Vogel auf einem Monitor, der fast lebensgroß ist, sodass Betrachter:innen und der Vogel sich auf Augenhöhe begegnen. Der Monitor verweist subtil auf gegenwärtige mediale Formate und die omnipräsente Faszination für die intime Darstellung des Lebens von Tieren in zahlreichen Naturdokumentationen und Amateurvideos. In kurze Segmente zerlegt, finden sie als momenthafte Köder über soziale Medien Verbreitung, wo sie uns entzücken, zur Identifikation animieren und dadurch zum Scrollen verleiten. Das Buch Capture von Antoine Traisnel: American Pursuits and the Making of a New Animal Condition beschreibt die kulturelle Abkehr vom Regime der Jagd, für das der Ornithologe und Künstler John James Audubon aus dem Siedlerkolonialismus des 19. Jahrhunderts steht. Das Wissen über Tiere und die Gründung der Naturgeschichte als institutionalisierte wissenschaftliche Disziplin hing von einer körperlichen, gewaltsamen Nähe ab, die durch das Jagen, Töten, Sammeln und Ausstellen von „Exemplaren“ perpetuiert wurde. Die neue Ära der Fotografie, die mit dem Aufkommen der sechsten Aussterbewelle begann, hat die Naturgeschichte um ein anderes visuelles System neu konfiguriert – das visuelle Einfangen. Das fotografische Bild, so Traisnel, ist der paradoxe Versuch, die geheimnisvolle Lebendigkeit der Tiere in jenem historischen Moment einzufangen, wo sie aus unserem Alltag verschwinden. In Anbetracht der Tatsache, dass Vögel in der Kunst seit langem als mächtige Symbole dienen, ist es bezeichnend, dass Ribarits sich auf visuelle Begegnungen mit Arten konzentriert, die kaum mit einer genau definierten Symbolik verbunden sind. Allerdings sprechen sie häufig die anhaltende Verführungskraft tropischer Fülle an, die sich in der westlichen Vorstellung so hartnäckig hält. Losgelöst von seinem Kontext und seiner Lebenswelt ist der Pelikan gefangen in seiner eigenen Repräsentation, doch der Vogel konfrontiert uns dabei auch mit seiner Andersartigkeit und hält mit seinem unergründlichen Blick fest – und fängt damit auch uns ein.
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Encountering the Pelican
Ros Gray, Goldsmiths, University of London.
My first encounter with Tina Ribarits’ Electric Entity [Pelican] was startling, at once beguiling and disquieting. In this first version of the work the pelican stood in total darkness, a lone figure cut off from any contextualising landscape. And yet the bird was animate, its head turning subtly from one side to another, its body illuminated with dappled light, and from time to time its black eye would appear to look directly at me. Electric Entity [Pelican] declares itself to be an illusion – an image of a bird caught within a digital time loop – even while the inclusion of its name makes a connection to the real and the indexicality of photography, the brackets recalling taxonomic practices of natural history and the semantic gap between the signifier and the signified. Gradually, as my eye attuned to the darkness, the mechanism of projection revealed itself, and carefully rendered glitches sporadically disrupted the image – and yet the level of detail in the feathers and the glimmers of sunlight and shade across its body suggest the liveliness of an actual bird, rather than an avatar. As the pelican’s head rotates, the viewer is drawn in to considering its extraordinary physiognomy – how the head connects to the neck, the strangeness of the beak and gular pouch, the almost comical webbed feet.
In that first installation of Electric Entity [Pelican], the bird was almost human height, an enlarged scale belonging to a prehistoric era, recalling avian genealogy makes all birds the descendants of dinosaurs. The new version of the work presents the bird on a monitor close to life size so that viewer and bird encounter one another at eye level. The monitor makes a subtle shift of reference to contemporary forms of media display and the pervasive fascination with intimate representations of animals’ lives in countless nature documentaries and amateur videos, which are segmented and dispersed across social media as momentary lures to keep us scrolling, enticing our delight and identification. Antoine Traisnel’s book Capture: American Pursuits and the Making of a New Animal Condition describes the cultural shift away from the regime of the hunt, exemplified by the nineteenth century settler colonial ornithologist and artist John James Audubon, in which knowledge of animals and the foundation of natural history as an institutionalised scientific discipline depended on an embodied, violent proximity perpetuated through the hunting, killing, collection and visual display of ‘specimens’. The new era of photography that emerged the dawn of the sixth mass extinction reconfigured natural history around a different visual regime – that of visual capture. The photographic image, in Traisnel’s argument, involves a paradoxical attempt to capture the mysterious liveliness of animals at the historical moment of their disappearance from our daily lives. Given that birds have long served as powerful symbols in art, it is significant that Ribarits focuses on visual encounters with avian species that are relatively unburdened with precise symbolism even though they often speak to the enduring seductiveness of tropical plenitude in Western imaginaries. Detached from its context and its lifeworld, the pelican is captured in representation, but confronted with its alterity and held its inscrutable gaze, the bird also captures us.
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