19.09. - 03.11.2018
GERLINDE MIESENBÖCK. Capita
Opening: 18.09.2018, 19.00, in Anwesenheit der Künstlerin.
Einleitende Worte von Dr. Romana Schuler, Kunstwissenschaftlerin.
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Gerlinde Miesenböck, ausgezeichnet mit zahlreichen Preisen und Art Residencies, hat bereits ihre vierte Einzelausstellung in der Galerie Reinthaler: „Capita" („Häupter“) befasst sich mit der zeitgenössischen Bilderfrage in der digitalen Fotografie des 21. Jahrhunderts, speziell mit den verbundenen Implikationen für die Darstellung des Menschen. Im Zentrum steht die Beschäftigung mit Abhängigkeiten zwischen der (Re-)Präsentation von Personen und deren Verbergen, in Folge auch mit einem Unschärfebereich zwischen Figürlichem und Abstraktem.
Lange Zeit war die Erstellung eines Porträts Vorrecht und Zeichen der Macht weltlicher und geistlicher Herrscher. Diese zeigen die jeweiligen „gekrönten und ungekrönten“ Häupter in festlicher Gewandung, versehen mit autoritären Posen und Attributen. Aus dem lateinischen „caput“ (Haupt) hat sich in der Neuzeit die Bezeichnung „Kapital“ gebildet und verweist so auf die ökonomische Komponente von Macht. Gerlinde Miesenböck geht zurück in diese vorfotografische Zeit und bearbeitet kunsthistorisches Material von Herrschern/Herrscherinnen aus unterschiedlichen Epochen. Durch die Auslöschung der Gesichter wird der Fokus auf die Art der Repräsentation gelegt. Die Mächtigen werden nicht als individuelle Menschen, sondern als Gefangene höfisch-zeitkontextueller Fremdbestimmung des Eigenbildes entlarvt. So zeigen sich Konventionen, wie Herrscher oder deren Nachkommen in der jeweiligen Epoche ihre gesellschaftliche Position zu demonstrieren hatten. Auch heute folgen Führungsfiguren aus Politik und Wirtschaft Leitlinien, die vorgeben, wie die Öffentlichkeit sie wahrnehmen soll: austauschbar und uniform.
Zu dieser Serie motiviert wurde die Künstlerin durch ihr Unbehagen über den Gebrauch fotografischer Medien zur Überwachung und Kontrolle, der Manipulierbarkeit von Fotografie sowie der „Ausbeutung“ des Abbilds anderer - letzteres ein altes ethisches Dilemma der Fotografie. Dem gegenüber steht der oftmalige Wunsch des Einzelnen, sich öffentlich nach eigenen Vorstellungen zu inszenieren und medial zu repräsentieren, wie es durch das Internet und Social Media mittlerweile ermöglicht wird. In beiden Fällen steht immer die Manipulierbarkeit der Fotografie zur Debatte.
Erforschung der Grenzen zwischen Darstellung und Andeutung
Alle aktuellen Serien von Gerlinde Miesenböck arbeiten mit automatisierter Retusche am digitalen/digitalisierten Bild. Das wesentliche Identifikationsmerkmal „Gesicht“ und „Haut“ (z. B. an den Händen) wird von der Künstlerin ausgewählt und unkenntlich gemacht, jedoch entscheidet der Algorithmus des Computers darüber, welche Elemente aus Vordergrund/Kleidung und Hintergrund/Umgebung diese Auswahl ausfüllen. Die Figuren wirken in Folge unheimlich, einmal grotesk, andere wiederum skulptural. Das Medium Fotografie erinnert in seiner dokumentierenden Eigenschaft immer neu an unsere Vergänglichkeit und Sterblichkeit. Diese Aspekte werden durch die irritierenden Deformationen und geisterhaften Formen besonders hervorgehoben.
In ihren Arbeiten geht es Gerlinde Miesenböck generell nicht um konkrete Personen oder Schicksale, sondern übergeordnete Themen, wie etwa die Frage nach dem Zuhause und dem Fremden. In Folge visualisiert sie Menschen oft indirekt: angedeutet, von hinten. Ihre Bilder zeigen kaum Porträts. Da jedoch gleichzeitig Kleidung, Pose und Attribute seit jeher über Status und Rolle des Gezeigten informieren, übernehmen diese Faktoren eine noch betontere repräsentative Rolle. In Form ihrer erweiterten Porträts erforscht die Künstlerin also die Grenzen zwischen Darstellen, Andeuten und Nicht-mehr-Darstellen.
Gerlinde Miesenböck, who has been awarded many prizes and art residencies, is to show her fourth solo exhibition at Galerie Reinthaler in early autumn of 2018. “Capita“ (“Heads”) deals with the contemporary question of images in the digital photography of the 21st century, in particular with the associated implications for the representation of people. The focus is on dependencies between the (re-)presentation of people and their concealment, and therefore also with the blurry line between the figurative and the abstract.
For a long time, having a portrait made was the privilege of secular and religious rulers, and a sign of their power. These show “crowned and uncrowned” heads in ceremonial garb with authoritarian poses and attributes. The term “Capital” came into use in the early modern period from the Latin “caput” (head), which indicates the economic components of power. Gerlinde Miesenböck reaches back into this time before photography and reworks material from art history showing rulers of various epochs. By eliminating the faces, she shifts the focus to the nature of the representation: the powerful are not represented as individuals; instead they are revealed as prisoners of the courtly heteronomy of the self-image in the context of their time. In this way we see the conventions of how rulers or their successors in their respective epochs had to demonstrate their position in society. Today, too, leading political or economic figures have guidelines that determine how they are to be perceived by the public: interchangeable and uniform.
This series was motivated by the artist’s unease about the use of photographic media for surveillance and control, the extent to which photography can be manipulated, and the “exploitation” of the photographs of others – the latter being a longstanding ethical dilemma of photography. This contrasts with the frequent desire of individuals to craft their own public portrayal and media representation of themselves, which is now possible thanks to the Internet and social media. In both cases the ways photography can be manipulated are always part of the debate.
Exploring the borders between representing and implying
All the current series by Gerlinde Miesenböck work with automatic retouching of digital/digitized images. The artist selects the essential identifying characteristics of “face” and “skin” (e.g. on the hands) and makes them unrecognizable, but the computer’s algorithm decides which elements from the foreground/clothing and background/surroundings will fill in this selection. This makes the figures look uncanny, in some cases grotesque, in others sculptural. Its documentary quality means that the medium of photography is a constant reminder of our impermanence and mortality. These aspects are particularly emphasized by the irritating deformed images and ghost-like forms.
For Gerlinde Miesenböck, her work is generally not about specific people or their lives, but about larger themes, such as the question of what is home and what is foreign. As a result, she often visualizes people indirectly: implied, from behind. Her pictures hardly show portraits. However, since clothing, pose, and attributes have always indicated the role and status of the person, these factors take on an even more emphatic representative role. In her expanded portraits, the artist explores the borders between representing, implying, and no longer representing.
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