04.05. - 01.07.2022

Kenji Lim. Shivering Cloud

Parnass Kunstmagazin, 31.05.2022, Paula Watzl:
Einer, von dem wir mehr sehen wollen: Kenji Lim in Wien
Es ist nicht alles Gold, was glänzt, aber es ist auch nicht alles fake, das schimmert – oder doch? Vielleicht muss man mehrere Wahrheiten zulassen, wenn man in Kenji Lims Welten – Alternative Sphären mit frischen Ästhetiken – eintauchen will.

 

Wiener Zeitung, 02.06.2022, Claudia Aigner:
Kenji Lim: Bitte erst in 100 Jahren wecken 
Der Entdecker neuer, kuscheliger Spezies und "spritziger Inseln" zeigt selbige in der Galerie Reinthaler.

Les Nouvaux Riches Magazine, Daniel Lichterwaldt:
Interview with Kenji Lim
Kenji Lim is a British artist, born in Singapore, who lives and works in Essex. He graduated with a BFA from Ruskin School of Art, Oxford University, in 2002 and with a Masters in Sculpture from The Royal College of Art, London, in 2019, and has lived many lives in between.

 

 

Würmer, Zitronen und ultraviolette Strahlen 
- Liza Burton 

 

Wie kann eine Wolke "zittern"? Eine gespenstische Vorstellung von silbrigem Schaum, der heftig und sichtbar auf sein eigenes Wettersystem reagiert. Bebt die Wolke vor Kälte, Angst oder Ekstase? Ich stelle sie mir wie den nächtlichen Schatten einer giftigen Hemlocktanne vor; oder eine Kugel Litschi-Sorbet im Himmel, überzogen mit einer harten Kruste aus gefrorenen Kristallen. Ähnlich wie das Waldbaden. Wolken und Bäume, weit und wild und grenzenlos. Unsere Körper tauchen ein, im Regen zitternd. 

 

"Waldbaden" oder das ursprünglich japanische Shinrin-yoku spricht alle fünf Sinne an und hat seine Wurzeln in den alten shintoistischen und buddhistischen Idealen eines harmonischen Gleichgewichts zwischen Mensch und Natur. Den von Bäumen und Pflanzen abgegebenen Stoffen wird eine heilende Wirkung zugesprochen. In Asien sondern die Hinoki-Zypresse und die japanische Zeder Phytonzide ab, die das menschliche Immunsystem stärken sollen. In Europa wird Eichen, Buchen, Birken und Haselnuss eine ähnliche Wirkung zugesprochen.

 

Auf der menschlichen Haut und zwischen unseren Haaren existieren Mikro- und Makroökosysteme, kleiner als eine Sommersprosse und leichter als eine Haarsträhne. Dort verharren sie und dürsten ständig nach Gerüchen von Zedernholz, Käsekraut, Malve und gestreiftem Oktopus. Unsere unmittelbare Umgebung wirkt sich direkt auf Geist, Nerven, Parasympathikus aus (wie eben das Waldbaden), aber sie existieren auch unabhängig von uns und beeinflussen sich gegenseitig. 

 

Kenji Lim interessiert sich für die engen Abhängigkeiten - die Viskosität - zwischen den Eigenschaften nichtmenschlichen Lebens. Gummi- und Kletten-Labkraut sind verquickt mit radioaktivem Abfall und der Bedrohung durch den Tiefseebergbau, Sauerteigkulturen verschmelzen mit Meteoritenschauern - den Räumen, die außerhalb der menschlichen Subjektivität existieren, haftet Großartiges an. Eine "dunkle Ökologie" von Dingen, die Zeit und Raum im Vergleich zum menschlichen Dasein so massiv besetzen, dass es unmöglich ist, sich mit ihnen direkt zu konfrontieren. Laut der Definition des Theoretikers Timothy Morton handelt es sich dabei um "Hyperobjekte": “Hyperobjects are not a function of our knowledge, they are hyper relative to worms, lemons and ultraviolet rays, as well as humans”.

 

Kenji Lims künstlerische Vorgehensweise gibt sich dieser fantastischen Landschaft nicht-humaner Lebenswelten hin. Er betrachtet die aufgeladene, obsessive Magie und Geisterbeschwörung, mit der unser häuslicher Alltag durchdrungen ist, und stellt sich vor, wie sich der Mensch davon ablöst. Kieselsteinchen und Pigmentklumpen hängen und kleben zusammen. An ungespannten Leinwänden haften Gewebe und Membrane und ziehen sich zusammen, ähnlich wie Blutegel. Ephemera Pooling: Heiß und hell und in Byzantinisches Purpur getaucht. Eine Horizontlinie in magnetisierendem, eindrucksvollem Blutorange.

 

Die verschlungenen Spuren auf Lims Gemälden schaffen ein Gefühl von Lebendigkeit und neuer greifbarer Wirklichkeit für die Skulptur im Zentrum. Ein schlafendes Dornröschen, das sich auf dem Boden der Galerie auf einem weichen Teppich zusammengerollt hat, blickt aus seinem schillernden Kokon und blinzelt schlaftrunken auf die Landkarten und Leinwände rundum. Die von Biolumineszenz umstrahlte A Sleeping Beauty entzieht sich jeglicher zoologischen Definition. Sie spielt mit der menschlichen Neigung, unsere Welt mit Emotionen oder körperlichen Empfindungen aufzuladen. Inmitten der fedrigen Stratuswolken und des getigerten Himmels und der verschlungenen Sonnenuntergänge existiert hier ein soziales Netzwerk von Dingen. Es summt wie die Drähte eines Laptops, ein Flimmern zwischen Pixeln. Ein schlafendes Dornröschen im Zentrum von allem, eine Plazenta, die kräftig frisst und lethargisch, zufrieden, satt und aufgebläht ist, sobald sie verdaut. Ein Wink Richtung Gebrüder Grimm: The Beauty ist erwacht. Sie taumelt und entfaltet sich in Richtung einer Welt aus tintenschwarzen Pfützen, Jungbäumen, Fellen und glatten Tansanit-Kristallen. Die Ausstellung selbst malt ein gottgleiches Bild, ein selbstverwaltetes Königreich aus Löwenzahnpollen und Blütenstaub.

 

 

Worms, Lemons, and Ultraviolet Rays

- Liza Burton

 

How could a cloud itself ‘shiver’? A spectral image of silvery foam, reacting to its own weather system, in such a coarse and bodily way. Shiver with cold, fear or ecstasy? I imagine a poisonous hemlock, shadowy in the night; or a scoop of lychee sorbet, still hardened with beads of frozen crystals, echoing in the sky. It's something like the practice of Forest Bathing. Clouds and trees, vast and wild and unbounded. Our bodies drown in them and tremble with the precipitation.

 

“Forest Bathing” or Shinrin-yoku in its native Japanese, is rooted in ancient Shinto and Buddist ideals of harmonic balance between humans and nature, engaging the five senses. The compounds emitted by trees and plants are healing. In Asia, the Hinoki Cypress and the Japanese Cedar emit phytoncides, which boost the human immune system. In Europe, oaks, beech, birch and Hazel do the same. Hovering between our skins and pelts, smaller than a freckle and lighter than a strand of hair; micro and macro ecosystems are alive. They linger, always thirsty for cedar wood smells, Cheeseweed Mallow, the candy caned Wunderpus. Material surroundings directly affect our minds, our nerves, our ‘parasympathetic nervous system’ (as forest bathing has been said to do), but they also live independently and affect one another.

 

Kenji Lim is interested in the sticky relationships between the properties – the viscosity – of nonhuman lives. Gummy cleavers and goosegrasses are enmeshed with radioactive waste and the threat of deep earth mining, sourdough starters fuse with meteor showers – there is an awesomeness to the spaces that exist outside of human subjectivity. A ‘dark ecology’ of things that, relative to humans, so vastly permeate time and space, it’s impossible to reciprocally engage with them. As theorist Timothy Morton defines, they are ‘Hyperobjects’,

 

“Hyperobjects are not a function of our knowledge, they are hyper relative to worms, lemons and ultraviolet rays, as well as humans”.

 

Lim’s practice indulges in this fantastical landscape of non-human economies. It looks towards the charged, obsessive magic and necromancy that we imbue upon our daily domestic surroundings, and then imagines the human untethering from this. Laps of pebbles and clusters of pigment hang and hold themselves together. Tissues and membranes embed and pucker at unstretched canvas, leech-like. Ephemera Pooling, hot and light and dappled with byzantine purples. A horizon line with a magnet of blood orange pithiness.

 

The sense of liveliness in the intricate marks in Lim’s paintings creates a new material reality for the central sculpture. A Sleeping Beauty, coiled on the floor of the gallery, abreast a soft carpet all of its own, probes its drowsy eyes from its iridescent cocoon, maybe blinking headily at the pixilated maps and drapery. Entwined in bioluminescence, A Sleeping Beauty resists zoological definition. It plays with tendencies to bestow human emotions or physical sensations to the world around us.

 

Here, amid the feathery stratus and the mackerel skies and the labyrinthine sunsets, a social network of things exists. It is humming like the filament of a laptop; a flicker between pixels. A Sleeping Beauty, at the centre of it all – a placenta – feeds heartily; growing lethargic as it digests, pleasured, satiated, distended.

 

A nod to the Brothers’ Grimm, The Beauty has woken up. It stumbles and unfurls towards a world of inky puddles, saplings, furs and Tanzanite slipperiness. The exhibition is itself a deity; a self governed Kingdom of dandelion dust and settled pollen.

 

 

Sources:

  • Timothy Morton, in Graham Harman, Object Oriented Ontology, a new theory of everything. (London: Penguin, 2008). 234
  • Lucy Jones, Losing Eden, Why our Minds Need the Wild, (London: Penguin, 2020). 70

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